„Der dritte Mann“ und die Wiener Unterwelt (2024)

Vor 70 Jahren hatte Carol Reeds Film „Der dritte Mann“ im Wiener Apollokino seine Österreich-Premiere. Mitinspiriert wurde der Autor Graham Greene durch einen Schwarzmarktschieber, der zeitgleich Wien unsicher machte.

Wie ein Generaldirektor soll er ausgesehen haben, der König der Wiener Unterwelt. 70 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod ist er in Vergessenheit geraten: Benno Blum. Wobei der Mann eigentlich Nikolai Borrisow hieß und 1910 in Bessarabien (Rumänien) geboren wurde. Nur wenig ist über sein Vorleben bekannt: Einmal heißt es, Blum sei schon während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland und am Balkan als Schleichhändler aktiv gewesen – bevor es ihn 1947 nach Wien verschlagen hat. Laut anderen Quellen war er hier als mittelloser Fremdarbeiter gestrandet, so wie viele Hunderttausend andere Zwangsverschleppte und Kriegsflüchtlinge.

Wie dem auch sei, Blum schaffte es innerhalb kürzester Zeit, zu Reichtum zu kommen, und zwar durch groß angelegten Zigarettenschmuggel. Stangen amerikanischer und britischer Herkunft waren die Ersatzwährung im zerbombten Wien. Dorthin gelangten sie über verschlungene Wege. Teilweise wurden die Zigaretten vom Freihafen Tanger aus per Schiff nach Italien gebracht. Per Bahn ging es weiter an Deckadressen in Budapest. Mit der Zeit gingen die Schleichhändler dazu über, die Wagons gleich hinter der ungarischen Grenze entleeren zu lassen.

So weit so gut. Für die letzte Etappe nach Wien brauchte es eine Übereinkunft mit der sowjetischen Besatzungsmacht. Korrupte Offiziere waren dazu nur allzu bereit. Sie ließen die Ware auf Lastwägen zu entlegenen Treffpunkten in Niederösterreich fahren, wo sie von Chauffeuren der Banden übernommen wurde. Das funktionierte eine Zeit lang, bis sich der Geheimdienst MGB (später KGB) einschaltete. Man traf eine Abmachung mit einem der Gangster, der gern Lieferungen der Konkurrenz klaute: Blum.

Schmuggelmonopol.

Seine Bande erhielt das Monopol des Zigarettenschmuggels. Der dadurch für Österreich entstandene Schaden wurde mit 100 Millionen Schilling beziffert (heute umgerechnet 81,5 Millionen Euro). Freilich hatte Blum allmonatlich eine spezielle Gegenleistung zu erbringen, nämlich: „Menschenraub“. Denn Österreich war ab Ende der 1940er-Jahre Schauplatz eines Schattenkriegs der Spione aus Ost und West. Ins Visier gerieten nicht so sehr die Agenten beider Seiten, sondern deren „Quellen“. Manche Österreicher hatten sich durch Aussicht auf schnelles Geld als Spitzel anwerben lassen. Viele Verschleppte waren aber auch Opfer von Verwechslungen oder von Denunziationen. Überwiegend traf es antikommunistische osteuropäische Flüchtlinge und Deserteure. Um diese Zielpersonen „überall“ – auch außerhalb des eigenen Machtbereichs – in die Finger zu bekommen, bedienten sich die Sowjets bei Gangstern wie Blum.

»Benno Blums Bande hatte in Wien das Monopol des Schmuggels von Zigaretten.
«

Direkt auf das Konto der „Benno-Blum-Bande“ gingen bis zu 30 Fälle, was Angst und Schrecken verbreitete. Dazu trug die „Handschrift“ der Kidnapper bei. Sie kurvten in schwarzen Chevrolets herum und zögerten nicht, tief in den westlichen Besatzungszonen zuzuschlagen. Allein zwischen dem 14. April und 28. Juli 1949 entführten sie in Salzburg vier russische „Displaced Persons“. Ein anderes weibliches Opfer erinnerte sich später, wie das Auto in das sie gezerrt worden war, „in rasendem Tempo“ davonfuhr: „Ich saß, den Mantel von hinten über den Kopf gezogen; eine derbe, fleischige Hand war auf meinen Mund gepresst, meine eigenen Hände wurden wie in einem Schraubstock festgehalten. Dann verspürte ich den widerlich süßen Duft, der jener Hand entströmte.“ Insgesamt sollten während des Besatzungsjahrzehnts mehr als 2200 Österreicher aus verschiedensten Gründen in die Mühlen des sowjetischen Repressionsapparats geraten. 150 wurden zum Tod verurteilt, über Tausend deportiert.

Blum hingegen war lange Zeit unantastbar: Er wohnte in einer schmalen Wiedener Gasse im sowjetischen Sektor, unweit von seinem Stammlokal, dem Café Papageno. Mit Vorliebe fuhr er in einem Wagen mit verhängten Fenstern. Am Steuer der Limousine saß Josef Krista, später selbst eine Unterweltgröße. Er machte als „Notwehr-Krista“ von sich reden, weil er es schaffte, für einen Mord 1954 nur wegen „Notwehrüberschreitung“ verurteilt zu werden. Über die Biografie eines anderen Bandenmitglieds gibt ein dünner Akt im Staatsarchiv Auskunft. Adolf Altmann stammte aus einer jüdischen Familie in Rumänien. Ihn verschlug es im Oktober 1947 nach Wien, er wurde Teil von Blums Schmugglerbande.

Apropos Kritik am Film

„Der dritte Mann“ startete am 10. März 1950 im Apollokino. Wegen seines harten Realismus stieß der Film auf wenig Gegenliebe.
Wien werde zur „verachteten und gemiedenen Kloake Europas“, hieß es. Und: Wien könne nicht schweigen, „wenn es zum gruseligen Hintergrund des Kalten Krieges erniedrigt wird“.

Von Blum erfahren haben dürfte auch Graham Greene, als er im Februar und Juni 1948 nach Wien kam. Der Schriftsteller recherchierte die Romanvorlage für „Der dritte Mann“. Dreharbeiten für den gleichnamigen Film fanden ab Spätherbst 1948 in Wien statt. Erzählt wurde ein Krimi rund um einen charismatischen Schieber mit dem Namen Harry Lime. Seither ist viel über dessen reales Vorbild spekuliert worden. Inspiriert haben dürfte Greene seine Freundschaft mit dem Doppelagenten Kim Philby. Dieser hatte 1934 während des Bürgerkriegs mitgeholfen, Schutzbündler durch die Wiener Kanalisation zu schleusen. So versucht auch Harry Lime durch dieses Labyrinth zu entkommen. Um die Figur realitätsnah zu zeichnen, nahm Greene wohl zusätzlich Anleihen bei einem „echten“ Kriminellen wie Blum. Die Gang von Blum sei aber „grauenvoller“ als die fiktive von Lime gewesen, befand das „Collier's Magazine“ 1950. Blum und seine Kompagnons hätten mit „den Geheimnissen und der schmutzigen Arbeit des Kalten Krieges“ gehandelt: „Spionage, Kidnapping und Tod.“ Fazit der US-Reporter: „Die Geschichte des dritten Manns ist wahr.“

Verhaftungswelle. Ausgerechnet in der berühmten Riesenradszene meint Lime düster, nur so lange sicher zu sein, wie er für die Russen „nützlich“ sei. Auch Blum hatte seine Schuldigkeit bald getan. Die Schlinge zog sich zusammen, als eines seiner Kommandos am 10. Jänner 1950 aufflog. Das trat eine Verhaftungswelle los und machte die Namen der Führungsoffiziere öffentlich: Die MGB-Hauptleute Josef Bielaw und Nikolai Orlow, die an derselben Adresse wohnten, wo sich eines der „Zentralbüros“ der Blum-Bande befand: Gußhausstraße Nr. 8. Um das Gesicht zu wahren, wurde Blum im Anhaltelager Katzelsdorf bei Wiener Neustadt interniert. Er schaffte es am 18. Februar 1950 noch einmal zu entkommen und in Wien unterzutauchen.

Dort suchten Agenten des amerikanischen Counterintelligence Corps (CIC) nach ihm. Am Nachmittag des 2.April 1950, wenige Wochen nachdem „Der dritte Mann“ im Kino angelaufen war, gab es einen Tipp. Blum würde am Abend in einen Gemeindebau in Ottakring kommen, um seine Geliebte zu treffen. Gegen 21 Uhr schlugen die Agenten Robert Crowell und Frank Otto, unterstützt von französischen Militärpolizisten, zu. In der dunklen Küche kam es zu einem verzweifelten Handgemenge. Schüsse fielen und Blum brach mehrfach getroffen zusammen. Er starb eine halbe Stunde später in der Unfallstation. Niemand kam, um seine Leiche abzuholen.

Zum Autor:

Thomas Riegler ist Historiker in Wien und forscht am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS). Zuletzt erschien von ihm:

„Österreichs geheime Dienste. Vom Dritten Mann bis zur BVT-Affäre. Über Österreichs Nachrichtendienste seit 1945.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

  • Zeitreise
  • Meta-Magazin
„Der dritte Mann“ und die Wiener Unterwelt (2024)

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Duane Harber

Last Updated:

Views: 5752

Rating: 4 / 5 (71 voted)

Reviews: 94% of readers found this page helpful

Author information

Name: Duane Harber

Birthday: 1999-10-17

Address: Apt. 404 9899 Magnolia Roads, Port Royceville, ID 78186

Phone: +186911129794335

Job: Human Hospitality Planner

Hobby: Listening to music, Orienteering, Knapping, Dance, Mountain biking, Fishing, Pottery

Introduction: My name is Duane Harber, I am a modern, clever, handsome, fair, agreeable, inexpensive, beautiful person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.